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Paludikultur

Paludikultur ist die land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Hoch- und Niedermoore. Ein traditionelles Beispiel dafür ist der Anbau von Schilf für Dachreet. Neue innovative und nachhaltige Nutzungen sind etwa der Einsatz als Rohstoff für die Papier- und Verpackungsindustrie, für Bau- und Dämmstoffe, Möbel und Holzwerkstoffe, Textilfasern oder Bio-Kunststoffe und chemische Grundstoffe. Andere Einsatzbereiche sind die Kultivierung von Torfmoosen als Torfersatz in Substraten für den Gartenbau oder die energetische Verwertung.

Was ist Paludikultur?

Das Konzept Paludikultur (lat. palus „Sumpf, Morast“) wurde an der Universität Greifswald mit dem Ziel entwickelt, Schutz und Nutzung von Mooren in Einklang zu bringen.

Paludikultur ist die produktive Nutzung nasser Moorstandorte (1)

Wichtmann & Joosten (2007) [(2)] beschreiben Paludikultur folgendermaßen (in deutscher Übersetzung):
„[…] Paludikultur ist die Kultivierung von Biomasse auf nassen und wiedervernässten Mooren. Idealerweise ist das Moor so nass, dass der Torfkörper dauerhaft erhalten bleibt bzw. ein erneutes Torfwachstum stattfinden kann. Das Grundprinzip von Paludikultur besteht darin, dass nur der Anteil der Nettoprimärproduktion (NPP) genutzt wird, welcher nicht zur Torfbildung notwendig ist (das sind ca. 80-90 % der NPP). In den temperaten, subtropischen und tropischen Zonen der Erde, also in den Zonen, in denen eine hohe Produktion möglich ist, weisen die meisten Moore von Natur aus eine Vegetation auf, von der die überirdischen Pflanzenteile geerntet werden können, ohne das Potential der Torfsequestrierung zu schädigen.

[…] Die Quintessenz von Paludikultur ist, Pflanzenarten zu kultivieren welche: 1. unter nassen Bedingungen wachsen, 2. Biomasse von ausreichender Quantität und Qualität produzieren und 3. zur Torfbildung beitragen.“

Das erste Handbuch über Paludikultur wurde im Jahr 2016 im Rahmen eines vom Bundesforschungsministeriums geförderten Projektes veröffentlicht (3). Die erste Fachstrategie zur konkreten Umsetzung in einem moorreichen Bundesland erschien 2017 für Mecklenburg-Vorpommern (1). In den letzten Jahren steigt die Anzahl von Umsetzungsprojekten zu Paludikultur kontinuierlich (4). Mit dem „PaludiNetz“ gibt es seit 2023 ein Netz von bundesgeförderten großflächigen Umsetzungsprojekten, in denen strukturiert über ein Koordinationsprojekt (PaludiZentrale) systematisch Daten zu den ökologischen und (sozio-)ökonomischen Effekten von Paludikultur erhoben und ausgewertet werden.

Warum Paludikultur?

Paludikultur hat viele Vorteile:

Wirtschaftliche Nutzung

Anwendungsbereiche

Paludikultur-Rohstoffe sind nicht nur wegen ihres großen Umwelt- und Klimaschutzpotentials interessant, sondern auch weil sie als regionale nachwachsende Rohstoffe einen Ersatz für fossile Materialien sein und Rohstoffengpässen vorbeugen können. Sie können in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden. Skalierbare Potenziale für die Verwertung von Paludikultur-Biomasse liegen insbesondere in den Sektoren Papier und Verpackungen, Bau- und Dämmstoffe, Holzwerkstoffe und Möbel, Kunststoffe und chemische Grundstoffe sowie Bioenergie.

Warum gibt es das alles noch nicht?

Trotz des Potenzials von Paludikultur wird diese bisher kaum großflächig umgesetzt. Eine Ursache dafür wird häufig als Henne-Ei-Problem beschrieben. Produzierende Unternehmen entwickeln keine Produkte aus Paludikultur-Biomasse aufgrund des fehlenden oder geringen Rohstoffangebots. Landwirt*innen hingegen zögern bei der Umsetzung von Paludikultur wegen fehlender Nachfrage. Zusätzlich wird die Umstellung auf Paludikultur durch die auf entwässerungsbasierte Landwirtschaft ausgerichtete Förderpolitik sowie Richtlinien erschwert.

Um das Henne-Ei-Problem zu lösen, müssen Wertschöpfungsketten für Paludikultur-Biomasse aufgebaut werden, um so eine stabile Nachfrage und damit Planungssicherheit für Landwirt*innen zu schaffen. Dafür braucht es starke und entschlossene Wirtschaftspartner, die innovative Verwertungsmöglichkeiten für Paludikultur-Biomasse entwickeln und skalieren. Parallel dazu muss auch das Angebot an Paludikultur-Biomasse steigen. Dafür bedarf es nicht Vorreiter*innen in der Landwirtschaft, sondern auch ganzheitliche Unterstützung von Politik und Verwaltung.

Mehr zur Rolle von Unternehmen, Landwirtschaft und Politik:

„Nur mit Paludikultur können wir die wesentlichen ökologischen Funktionen von Mooren als Kohlenstoffspeicher, Wasserregulator und Träger besonderer Biodiversität kombinieren mit der Gewinnung von nützlicher Biomasse. Moorentwässerung ist nicht mehr zu verantworten.“
Prof. Dr. Hans Joosten, Universität Greifswald

Weiterführende Quellen:

Quellen

(1) LM M-V (2017): Umsetzung von Paludikultur auf landwirtschaftlich genutzten Flächen in Mecklenburg-Vorpommern. Fachstrategie zur Umsetzung der nutzungsbezogenen Vorschläge des Moorschutzkonzeptes. Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin.

(2) Wichtmann, W. & Joosten, H. (2007): Paludiculture: peat formation and renewable resources from rewetted peatlands. IMCG Newsletter 2007/3: 24-28.”

(3) Wichtmann, W. Schröder, C. & Joosten, H (Hrsg.) (2016): Paludikultur – Bewirtschaftung nasser Moore. Klimaschutz − Biodiversität − regionale Wertschöpfung. Schweizerbart Science Publishers, Stuttgart.

(4) Neudert, R., S. Kleine, G. Schlingermann, A. Nordt, B. Spanjers, S. Wichmann, V. Beckmann (2024): Paludikultur – nasse Moore nutzen. Ein Überblick über 25 Jahre Forschung und Entwicklung in Deutschland. Ländliche Räume. Schwerpunktheft 3/24, S. 62-64. https://www.asg-goe.de/pdf/LR324.pdf

Björn Köcher
Leitender Projektkoordinator PaludiAllianz / toMOORow bei der Umweltstiftung Michael Otto

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